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Die Seuche. Fluch und Segen.

Alles hat sich geändert. In rasender Geschwindigkeit wurde das Tempo aus unserem Leben genommen: Alles langsamer, viel Zeit, weniger Hektik. Die Dogmen des ungebremsten Kapitalismus, wie Wachstum um jeden Preis, immer schneller, immer mehr, immer weiter, gelten nicht mehr. Stattdessen Nachdenken: Was ist wirklich wichtig, systemrelevant? 

Vieles, was die Bewegung "Fridays for Future" gefordert hat und von der Politik als unmöglich abgelehnt wurde, wird nun in einer wahnsinnigen Geschwindigkeit (fehlt nur noch das Tempolimit) umgesetzt. 

Und alle hören auf die Wissenschaft! Und handelt sogar danach, was die Wissenschaftler*innen sagen! Die Politik, der Staat, die Behörden hören auf die Wissenschaft und setzen um, was diese empfiehlt! Und sogar trotzdem die Wissenschaft auf viele Fragen, keine fertigen Antworten haben, sondern nur Empfehlungen. Überhaupt hat das Besserwisserische und Schuldzuweisende stark abgenommen und stattdessen werden gemeinsam Antworten gesucht und sehr weitreichende Entscheidungen getroffen, auch auf die Gefahr hin, Fehler zu machen. Die Möglichkeit von Fehlern wird eingeräumt. Und trotzdem ist das Vertrauen in die Politik gestiegen.

Die Politik hat wieder das Sagen! Und nicht die Konzerne, das Profitinteresse, die Lobbyisten.

Gegen die Partikularinteressen von Wirtschaftszweigen werden sehr weitreichende Entscheidungen umgesetzt, zum Wohle der Allgemeinheit! Zum Schutz der Schwächsten, der Alten, der Kranken, der Gefährdetsten. 

Für diesen Schutz der Gefährdeten wird das Verwertungsinteresse eingeschränkt bis hin zu Existenzgefährdung von Wirtschaftszweigen. Es wird sogar von (vorübergehender) Verstaatlichung (igitt, was für ein Wort)gesprochen (z.B. der Lufthansa). Aber auch die Entglobalisierung von Produktionsbereichen, wie z. B. der Medikamenten- und medizintechnische Bereiche.

Die Privatisierung der öffentlichen  Daseinsvorsorge, allen voran des Gesundheitssystems wird von der Politik aller Couleur (außer vielleicht die AfD, die ist eh in den Untergrund und beschäftigt sich mit Verschwörungstheorien?) kritisiert. Die Bedeutung und Wertschätzung der öffentlichen Daseinsvorsorge, insbesondere des Kranken- und Pflegepersonals,  wird plötzlich erkannt.

Die Sorge Arbeit,  Pflege, Versorgung von Alten und Kindern, aber auch die Arbeit von Verkäuferinnen, die Arbeit von Behördenmitarbeiter*innen und Dienstleister*innen  bekommt eine andere Wertigkeit. 

Unser aller Freiheit wird eingeschränkt zum Schutz von alten und gefährdeten Menschen! Ein neues Fürsorglichkeitsethos entsteht. Und das von sehr unterschiedlicher Seite (z.B. schließen sich Jugendorganisationen aller Parteien, außer der AfD, zusammen und versorgen ehrenamtlich alte und gefährdete Menschen oder Menschen, die in Quarantäne sind, mit Lebensmitteln). Gelebte Solidarität. Auf verschiedenen Plattformen im Netz gibt es viel mehr Hilfeanbieter, wie -abrufer! Bis jetzt. 

Alle politischen Talkrunden und Diskussionen verlaufen wesentlich konstruktiver, so gut wie keine Besserwisserei und weniger Schuldzuweisungen. Und nochmal: Politiker*innen hören auf die Wissenschaftler*innen und Fachleute! Und treffen danach ihre Entscheidungen. 

Die ständige Herumreiserei hat aufgehört, auch in der Politik. Die Möglichkeiten von Online-Konferenzen, Skype und Telefon werden genutzt. Und siehe da: Es funktioniert.

Das Wort Systemrelevanz hat einen anderen Inhalt bekommen. Systemrelevant sind jetzt vor allem die Krankenhäuser, die Intensivstationen und die Labore. Und natürlich das Gesundheits- und Pflegepersonal. Aber auch die Lebensmittelverkäuferinnen, die Behördenmitarbeiter*innen, die Polizisten*innen, die Ordnungsbehörden, die Post- und Paketdienste,  alle Dienstleistungen, die im Alltag von Bedeutung sind. 

Gerade nicht systemrelevant sind: Die Autoindustrie und die Tourismusbranche. Und der Massenkonsum. 

Ausgebremst. Gebremst. Und alle sind gespannt, wie es weitergeht. Ob die Maßnahmen etwas bringen, ob es gelingt die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen. 

In Italien ist es nach wie vor schlimm. Es gibt eine relativ hohe Sterberate und keiner weiß warum. Die Zustände in den Krankenhäusern und Notlazaretten, in den Intensivstationen sind katastrophal. Das Klinikpersonal ist am Limit. 

Also: Beklagen wir uns nicht. Wir bleiben zu Hause (wenn möglich) und haben Zeit! Zeit für lesen, Fensterputzen, Aufräumen, Nachdenken.

Was kann man/frau tun in dieser Zeit: Spazierengehen, auch in kleinen Gruppen mit dem nötigen Abstand? Telefonieren, stundenlang. Briefe schreiben und lesen, lesen, lesen. Z.B. Die Pest von Albert Camus oder Decamerone von Boccaccio.

Und an alle, vor allem, die alleine wohnen, der Aufruf: Bitte melden, wenn Hilfe, wie z. B. einkaufen, gefragt ist oder wenn einfach nur die Decke auf den Kopf fällt. Hat bei mir schon angefangen. 

Wie schaffen wir ein Gefühl der Verbundenheit miteinander, der Gemeinschaft, der Solidarität, ohne direkten Kontakt?

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Kommentare: 1
  • #1

    Frieß (Mittwoch, 18 März 2020 18:39)

    Sehr gut, stimme voll zu.