Der Essay "Die Freiheit, frei zu sein" von Hannah Arendt wurde im März 2018 erstmals in Druckform veröffentlicht. Als ich das Büchelchen geschenkt bekam und dann an einem Nachmittag durchlas, verstand ich noch nicht viel. Und trotzdem hat mich das derart geflasht, derart mit Freude und Zuversicht erfüllt, dass ich das unbedingt mit anderen Menschen teilen wollte.
Vor kurzem nun habe ich den Essay in einem kleinen Kreis gelesen und diskutiert und dann verstand ich schon etwas mehr. Hier ein paar Impressionen von meinen Erkenntnissen dazu.
Hannah Arendt entwickelt in ihrem Essay, der ursprünglich, glaube ich, eine Vorlesung an einer Uni in USA war, zunächst den Freiheitsbegriff entlang der amerikanischen und französischen Revolution. Sie beschreibt, warum die amerikanische Revolution erfolgreich war und trotzdem heute nahezu unbekannt ist. Und die französische Revolution bis heute so bedeutend ist, obwohl sie gescheitert ist.
Arendt entwickelt, warum wir das Wort revolutionär nur auf Revolutionen anwenden, die die Freiheit zum Ziel haben. Der Freiheitsbegriff bedeutete in der amerikanischen und französischen Revolution die Freiheit von Despotismus und Gewaltherrschaft und stattdessen Bürgerrechte in einem Rechtsstaat mit verfassungsmäßiger Regierung.
Nicht enthalten darin war, dass sich alle Menschen an öffentlichen Angelegenheiten beteiligen (können). Eine solche Befreiung bedeutet mehr als die politische Befreiung von absoluter und despotischer Macht.
Die Freiheit, frei zu sein bedeutet zuallererst nicht nur von Furcht frei zu sein, sondern frei zu sein von Not. An eben dieser Befreiungsaufgabe, nämlich das Volk insgesamt aus dem Elend zu befreien, damit sie frei sein konnten, scheiterte die französische Revolution und eigentlich auch die amerikanische. Die französische Revolution arrangierte sich mit dem Zustand, in dem die Freiheit von Not - die Freiheit frei zu sein - ein Privileg von ein paar wenigen war. Die amerikanische Revolution befreite nicht die Sklaven, d.h. auch sie erkämpfte nicht die Freiheit und Gleichheit aller Menschen. Auch für die Frauen galten noch lange nicht die gleichen Rechte.
Die Freiheit, frei zu sein harrt bis heute der Verwirklichung, in dem Sinne, dass sie für alle Menschen gleich gilt. Dass alle Menschen frei von Not sind, frei von Existenznot und sich an der Regelung der öffentlichen Angelegenheiten direkt beteiligen können.
Dass wir von der Umsetzung dieser Idee von Freiheit weit entfernt sind, wissen wir, ich nenne nur ein paar Stichpunkte in unserem Land: Armut, Obdachlosigkeit, Arbeitslosigkeit, Besitzlosigkeit, Ausschluss von Wahlen, geschweige denn von direkter Beteiligung an öffentlichen Angelegenheiten. Aus der Entwicklung des Freiheitsbegriffs von Hannah Arendt lässt sich Ziel, Richtung und Handlungsanweisung ableiten.
Und, jetzt kommt für mich der absolute Kracher an Idee!
Die Freiheit, frei zu sein ist uns quasi in die Wiege gelegt. "Durch jede Geburt , durch die Ankunft einer neuen Generation, durch dieses Wunder des Neuanfangs, wonach die potenzielle
Rettung der Welt allein darin begründet liegt, dass sich die menschliche Gattung immer wieder und für immer erneuert."
Wir sind frei, etwas Neues zu beginnen qua Geburt.
"Diese geheimnisvolle menschliche Gabe, die Fähigkeit, etwas Neues anzufangen, hat offensichtlich etwas damit zu tun, dass jede und jeder von uns durch die Geburt als Neuankömmling in die
Welt trat. Wir können etwas beginnen, weil wir Anfänge und damit Anfänger s i n d. "
"Der Sinn von Revolutionen ist die Verwirklichung eines der größten und grundlegendsten menschlichen Potenziale, nämlich die unvergleichliche Erfahrung, frei zu sein für einen Neuanfang, woraus der Stolz erwächst, die Welt für einen Novus Ordo Saeclorum (für eine neue Ordnung der Zeitalter) geöffnet zu haben."
Was für eine wundervolle hoffnungsfrohe Botschaft: Wir sind frei etwas Neues zu beginnen. Und jedes neue Menschlein, jede neue Generation birgt in sich die Möglichkeit einen Neuanfang zu machen überall auf der Welt.
Was haltet Ihr von dieser frohen Botschaft Hannah Arendts?
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Winfried (Donnerstag, 24 April 2025 17:10)
Eine Frohe Botschaft kommt vor Ostern selten allein. Nun gesellt sich Hannah Arendt hinzu. Die Möglichkeit etwas Neues zu beginnen, die die Geburt neuer Menschen schafft, ist und bleibt zunächst eine Möglichkeit. Der Weg von der Möglichkeit zur Wirklichkeit ist steinig, lang und vermeidet nicht unbedingt Sackgassen. Selbstverständlich bekommen die Neuankömmlinge in der Welt genetisch etwas mit. Als Päckchen haben sie dann noch ihre Familien, sozialen und Klassenverhältnisse sowie die kulturelle und politische Geschichte ihrer Gesellschaft zu tragen. Damit wird so manche Freiheitsmöglichkeit eingeschränkt. Andererseits bietet gerade die Auseinandersetzung des Individuums mit den Bedingungen des eigenen Aufwachsens die Möglichkeit ein selbstbewusster Mensch zu werden. Genau die Eigenschaften herauszubilden, die notwendig sind, trotz widriger Umstände und Verhältnisse, um an der Gestaltung des eigenen Lebens teilzuhaben. Dabei nicht vergessen, dass das nur in Kooperation mit anderen Menschen gelingen kann, auf der Grundlage funktionierender individueller und gesellschaftlicher Naturbeziehungen. Ich glaube, dann entsteht nicht nur Freiheit von etwas, sondern auch Freiheit für etwas.