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Zeit und Ewigkeit

Wem die Zeit wie Ewigkeit und die Ewigkeit wie Zeit, der ist befreit von allem Leid.

 

Dieser ganz und gar rätselhafte Satz ist von Jacob Böhme (1575 - 1624), einem christlichen Mystiker und Philosoph. Er lebte als Schuhmacher in Görlitz, hatte keinen Zugang zu akademischer Bildung und hat sich sein Wissen autodidaktisch angeeignet.

Mein diesjährige Fastenkalender ist Jacob Böhme gewidmet und eben daraus habe ich diesen Satz.

Zunächst saß ich davor und rätselte, was der weise Jacob wohl damit gemeint hat. Dann kamen mir doch so langsam ein paar Gedanken.

Also, wenn mir die Zeit wie Ewigkeit erscheint, dann bin ich doch ganz im Hier und Jetzt und vergesse die Zeit. Die Zeit spielt keine Rolle. Wie ein Kind, das Zeitvergessen spielt und nicht weis, dass währenddessen Zeit vergeht. Und plötzlich aus der Zeitlosigkeit gerissen wird, durch Erwachsene, die zum Essen rufen.

Kinder werden erst nach und nach in das Zeitdenken gepresst und gewöhnt. Sie lernen die Uhr. Sie müssen ins Bett, wenn sie noch gar nicht müde sind. Sie müssen sich von ihrem Spiel lösen, weil die Zeit in der Spielgruppe vorbei ist oder weil ein "Termin" ansteht. Sie werden morgens geweckt, weil sie in den Kindergarten, später in die Schule müssen. Langsam werden sie von ihrer zeitlosen Ewigkeit entwöhnt und in ein Zeitkorsett gepresst.

Wenn man alt ist, hat man die Möglichkeit sich wieder aus dem Zeitkorsett zu lösen. Wir können aufstehen, wenn wir wach werden. Wir können essen, wenn wir Hunger haben. Wir können putzen, waschen, lesen, ausruhen, spazieren gehen, einkaufen, wann wir Lust und Laune haben. Und uns versenken in ein Buch, ein Spiel, Musik hören, beobachten, meditieren und träumen. So lange wir wollen. Zeitlos.

Den zweiten Teil des Satzes von Jacob Böhme  "wem die Ewigkeit wie Zeit" finde ich noch schwieriger.

Vielleicht meint er damit, dass wir das Leben wie einen winzig kleinen Abschnitt der Ewigkeit betrachten sollen. Einen winzig kleinen Teil der Ewigkeit, der uns geschenkt wird, um zu leben. Und dass deshalb die Lebenszeit so wertvoll ist.

Im Leben wird uns die Ewigkeit zur Zeit, die uns geschenkt ist, gegeben ist.

"Wir brauchen nur die Augen und die Herzen zu öffnen, um eins zu werden mit dem Seienden" schreibt Henry Miller in seiner Novelle "Das Lächeln am Fuße der Leiter". Und weiter:

"Wahrhaftig, wir erfinden nichts. Wir borgen aus dem Überfluss und schaffen ihn nach. Wir enthüllen und entdecken. Alles ward uns gegeben, wie die Mystiker sagen." "Freude ist wie ein Strom: Sie fließt ohne Unterlass. Das ist nach meinem Glauben die Botschaft, die der Clown uns zu überbringen versucht, dass wir teilhaben sollen am unaufhörlichen Fluss, der endlosen Bewegtheit, dass wir nicht anhalten sollen, um nachzudenken, zu vergleichen, zu zergliedern, zu besitzen, sondern fließen immerfort, ohne Ende wie Musik."

Da ist sie doch wieder die Ewigkeit und wir fließen in ihr wie Musik.

Ja klar, dann sind wir befreit von allem Leid, wie Jacob Böhme sagt. Wenn uns das gelingt und wenn es nur Augenblicke sind...

 

Also ist mir doch was eingefallen zu dem rätselhaften Satz. Vielleicht fällt euch auch noch was ein?

 

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