· 

Loslassen

Gar nicht so einfach, nach so langer Zeit wieder den Einstieg zu finden. Es hat sich viel ereignet, politisch und persönlich, im Großen und im Kleinen, in der Welt und zu Hause.

Mein Leitgedanke für 2025 ist von Meister Eckhart:

Niemals steht ein Unfrieden in dir auf, der nicht vom Eigenwillen kommt, ob du es nun merkst oder nicht. Darum fang zuerst bei dir selbst an und lass dich!

Rätselhaft. Was meint er mit Eigenwillen? Eine Ahnung habe ich schon, weniger vom Kopf, mehr vom Gefühl. Es hat etwas mit Loslassen zu tun.

Und Loslassen war in den letzten Monaten mein Thema, meine Übung, meine Arbeit.

Das größte ist, eine Wohnung, ein Haus, ein Garten, eine Umgebung loszulassen, in der ich den größten Teil meines Lebens verbracht habe. 36 Jahre. Es stecken unglaublich viele Erinnerungen, Geschichten, Arbeit, Zeit, Spaß und Freude, Kraft und Geborgenheit, Streit und Ärger in dieser Wohnung, in diesem Haus, in diesem Garten. Und dann auch noch der Inhalt der Wohnung! Me glaabts net, was mer so alles aasammelt in seim Läwe!

Dies alles loszulassen aus Vernunftsgründen, aber auch Herzensgründen, war und ist nicht einfach. Es kostet Kraft und manchmal bin ich ganz erschöpft von der ganzen Loslasserei.

Ich kann nicht einfach alles, was ich nicht mitnehmen und behalten kann, meine neue Wohnung ist nur etwa halb so groß, hat keinen Keller und keinen Speicher, gut so, einfach wegwerfen. Ich "verabschiede" mich von allen Dingen und führe sie, wenn irgend möglich, noch einer Weiterverwertung oder -nutzung zu.

Aber, mein Gott, was sammelt man alles in einem langen Leben was sonst niemand interessiert, einfach nur Erinnerungen.

Ich habe tatsächlich noch Briefe, die ich als Kind an meine Eltern geschrieben habe. Als meine Mutter starb und wir ihre Wohnung ausräumten, nahm ich all die Post, die Briefe und Postkarten, die sie fein säuberlich aufgehoben hatte, mit nach Hause und dachte sie eines Tages zu sichten und wegzuwerfen. Ja, ja. Eines Tages ist jetzt.

Zum Glück habe ich nach meiner Verrentung schon mal meine ganzen Liebesbriefe, Briefe und Grußkarten von Freunden und Freundinnen aus meiner Jugend aussortiert und entsorgt. Mein Gott, da waren ja Briefe dabei da hatte ich keinen Schimmer mehr von den Absender*innen. Auch wunderte ich mich, wie viele Briefe wir uns damals geschrieben haben.

Jetzt also die Briefe und Postkarten, die ich selbst geschrieben habe an meine Eltern und an meine "kleine" Schwester. Rührend. Als Kind schon von 2 Aufenthalten in Erholungskinderheimen. Später als Jugendliche und Erwachsene von Reisen. So viele Reisen. Was habe ich da alles erlebt und gesehen.

Mich daran zu erinnern, schriftliche "Zeugnisse" sind viel komplexer und plastischer, um Erinnerung aufstehen zu lassen, als Fotos, finde ich, ist richtig anstrengend. Und dann in den Papierkorb. Mannomann. Die hunderte Fotos kommen auch noch dran.

Hoffentlich kommt mir keiner mit dem Satz: Wie kannst du das wegwerfen! Ich finde es für mich wichtig und richtig. Es ist eine Art von Befreiung von der Vergangenheit. Loslassen, halt. Und damit Raum, Platz, Offenheit, Neugier,  Hirnschmalz und Herzwärme für die Gegenwart und die Zukunft zu schaffen.

Man muss jeden Augenblick die Hand auf die Erde legen können wie der erste Mensch von Rainer Maria Rilke. Dieser Satz ist mir gerade in den Sinn gekommen. Für mich bedeutet es auch: Man muss jeden Augenblick die Hand auf die Erde legen können und gehen.

 

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 2
  • #1

    Marianne Maurer (Montag, 17 Februar 2025 17:40)

    Liebe Evi,
    mit großem Interesse habe ich Deinen Beitrag gelesen, dann eine Weile gehadert, ob ich etwas schreiben soll. Gehadert deswegen, weil kommentieren, sich positionieren, bewerten, interpretieren etc. auch zu den Aufgaben und Übungen gehört, in denen ich mich täglich übe.
    Und das Ergebnis siehst du hier: ich kann es nicht lassen. (gehört auch zu dem Thema loslassen: lass es sein)
    Was du geschrieben hast kann ich soo gut nachempfinden und habe es auch so erlebt: das Loslassen von Dingen, Orten, Menschen, Gewohnheiten (erlernte sich über Jahrzehnte angeeignete tiefsitzende Muster im Verhalten - finde ich unglaublich schwer) und vor allem Geistigem. Damit meine ich Gedanken in Form von Erinnerungen, Blicke in die Zukunft, Ängste resultierend aus Gedanken und Urteilen, Meinungen etc. Ein tägliches Übungsfeld und immer wiederkehrende Herausforderung, weil diese Gedanken vom Leben fernhalten während sich das Leben jetzt abspielt. Dazu fällt mir eine Geschichte von Laotse ein:
    bei einem Abendspaziergang mit einem Schüler konnten sie einen wundervollen Sonnenuntergang beobachten. Dies kommentierte der Schüler mit:" was für ein wunderschöner Sonnenuntergang". Dieser Schüler durfte ihn nicht mehr begleiten, da er während er die Worte sprach, das Geschehen nicht wahrhaftig wahrnehmen konnte.

    Sich von Dingen zu trennen, erlebe ich auch als sehr befreiend. Als sehr schwierig nehme ich das Loslassen von allem "Geistigem" wahr, da unser Verstand uns immer wieder Gedanken diktiert und , wenn wir uns damit identifizieren in der Falle stecken, unser Ego sich aufbläht, sich meldet, wir nicht mehr gelöst sind. Ich erlebe das dann wie einen Sog, lass mich vom Gehirndiktieren, von Gedanken und Gefühlen.
    Mir hilft dann nur die Stille oder wenn es gerade nicht geht: wenigstens tief durchatmen und damit Abstand gewinnen zu dem Hirnschmalz. Manchmal, situativ innehalten, bewusst sein. Wenigstens ab und zu erleben, was wir wirklich sind, wenn wir in Frieden sind.

  • #2

    Marilena (Donnerstag, 27 Februar 2025 23:04)

    Liebe Evi,
    Danke für deine Gedanken und Worte zum Thema "loslassen".
    Ich kann mich in den Beschreibungen meiner Vorrednerin teilweise sehr gut wiedererkennen, denn auch mir fällt es am schwersten Gedanken / Gefühle los zu lassen... das ist seit langem auch wirklich ein Lebensziel für mich: loszulassen, Kontrolle mit gutem Gefühl und ruhigem gewissen abzugeben.
    Normalerweise bin ich keine Liebhaberin von Sprüchen, Ratschlägen oder Weisheiten (sie sprechen mich einfach oft nicht an) jedoch gibt es einen Spruch, den meine Yogalehrerin von Zeit zu Zeit zitiert und der mich irgendwie berührt hat: "lässt du etwas los, bist du etwas glücklicher; lässt du viel los, bist du viel glücklicher und lässt du ganz los, bist du frei."
    ❤️