Vor ein paar Tagen gab es in HR 2 in der Sendereihe "Der Tag. Ein Thema, viele Perspektiven" das Thema Versöhnung. Es war eine für mich sehr schöne Sendung, weil sie in dieser Zeit der Kriege und der Spaltung gezeigt hat, dass trotz allem die Hoffnung auf Versöhnung und Vergebung besteht. Ja, wenn es diese Beispiele schon mal gegeben hat, wo ehemals verfeindete Länder oder Bevölkerungsgruppen mit vielen kriegerischen Auseinandersetzungen oder brutaler Unterdrückung einer Bevölkerungsgruppe bis hin zum Völkermord, trotz alledem eine Versöhnung und Vergebung stattgefunden hat. Dann besteht doch die Hoffnung, dass dies auch nach den gegenwärtigen Kriegen in der Ukraine, in Palästina und an vielen anderen Stellen der Welt möglich sein wird.
Beispiel für eine gelungene Versöhnung die in der Sendung in Erinnerung gebracht wurde, ist die Versöhnung zwischen Frankreich und Deutschland nach dem 2. Weltkrieg. Die Versöhnung zwischen den ehemaligen "Erzfeinden", wie Frankreich genannt wurde, und Deutschland. Wie ist diese Versöhnung und Vergebung nach den beiden verheerenden Weltkriegen, in denen Frankreich von Deutschland überfallen und unterworfen wurde, gelungen? Wie war es möglich nach Jahrzehnten der Kriegshetze gegen Frankreich und die Verunglimpfung der Franzosen und Französinnen? Wie war es möglich, dass die Franzosen und Französinnen den Deutschen vergeben konnten und sogar Freundschaft mit ihnen schlossen?
Ein wichtiges Element der Französisch Deutschen Freundschaft war der Jugendaustausch. Jugendgruppen aus allen gesellschaftlichen Bereichen besuchten sich gegenseitig und die Jugendlichen wurden meist während der Besuche bei den Familien der Austauschschüler untergebracht. Man lernte die Sprache des jeweils anderen Landes und die vielen persönlichen Kontakte und das gegenseitige Kennenlernen stiftete viele Freundschaften. Später kamen auch viele Städtepartnerschaften zwischen Deutschland und Frankreich zustande, mit vielen Kontakten zwischen den einfachen, ganz normalen Menschen. Wenn man im andern Land Freund*innen hat und erlebt, dass dort auch ganz normale liebenswerte Menschen leben, ist es nicht mehr möglich ein solches Land als Erzfeind aufzubauen und Kriegspropaganda zu betreiben. Natürlich waren auch die Vorbildfunktion der verschiedenen Staatschefs von Bedeutung, wie die Umarmung zwischen Adenauer und De Gaulle, die sogar einen gemeinsamen Versöhnungsgottesdienst besuchten. Der freundschaftliche Umgang zwischen Helmut Kohl und Mitterand, die gemeinsam einen Soldatenfriedhof besuchten war Vorbild für Versöhnung.
Heutzutage ist es nicht mehr vorstellbar, dass sich die beiden Völker Deutschlands und Frankreichs gegeneinander in den Krieg hetzen lassen.
Ein anderes Beispiel einer gelungenen Versöhnung ist die Versöhnung zwischen den Volksgruppen der Tutsie und der Hutu in Ruanda. Dass dies gelungen ist nach einem Völkermord an den Tutsie und die Angehörigen der verschiedenen Volksgruppen heute wieder friedlich miteinander leben können, war nur durch eine aktive Aufarbeitung der Schuld der einzelnen Hutu, eine Bestrafung der Täter und Wiedergutmachung wo immer dies möglich war. Zu dieser Aufarbeitung gehört ein Schuldbekenntnis der Mörder und ein anschließendes Verzeihen der Opfer. Diese schmerzliche Arbeit wurde zum Teil in sogenannten Wahrheitskommissionen nach dem Vorbild Südafrikas geleistet. Nach der Überwindung des Apartheidregimes wurden all die Verbrechen, die von den weißen Unterdrückern an der schwarzen Bevölkerung verübt wurden in solchen Wahrheits- und Versöhnungskommissionen bearbeitet. Ich erinnere mich, dass auch Bischof Tutu in solchen Kommissionen als Vermittler mitgearbeitet hat und wie Täter und Opfer zusammen geweint haben, ob all dem Leid, was angerichtet worden war. Ein Element dieser Kommissionen ist, die Wahrheit über die Verbrechen ans Licht zu bringen, was sonst eventuell nie gelungen wäre.
Und, was bei Versöhnung ein wichtiges Ergebnis ist, der Rachegedanke steht nicht mehr im Vordergrund, der ja schon wieder der Keim für weitere Gewalt ist.
Und es gibt sogar für Israel und Palästina kleine Hoffnungszeichen für die Möglichkeit von Frieden und Versöhnung. Die Graswurzelgruppe Combattons for Peace, z.B., eine Organisation in der ehemalige palästinensische Gewalttäter und israelische Soldat*innen, die an Gewalttaten beteiligt waren, zusammengefunden haben und sich nun gemeinsam für friedliche und gewaltfreie Lösungen einsetzen.
Also es besteht Hoffnung? Versöhnung ist möglich? Im Kleinen, wie im Großen. Was können wir dafür tun?
Hannah Arendt entwickelt in ihrem Essay "Die Freiheit frei zu sein" die Idee, dass mit der Geburt eines jeden Menschen, die Möglichkeit für einen Neuanfang entsteht. Der Mensch ist bei der Geburt frei und fähig, ohne Gewalt- und Rachegefühle heranzuwachsen. Immer neue Generationen bergen in sich die Möglichkeit aus dem (nicht) ewigen Kreislauf von Gewalt und Gegengewalt auszusteigen.
Diese Gedanken und Überlegungen machen mir Hoffnung. Ich bin eigentlich überzeugt davon, das zukünftige Generationen sich nicht mehr gegeneinander auf- und in den Krieg hetzen lassen.
Versöhnung und Vergebung ist möglich. Wenn es sie gegeben hat, warum soll es in der Zukunft nicht mehr geschehen.
Was können wir dafür tun? Im Großen wie im Kleinen?
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Christiane (Samstag, 23 Dezember 2023 13:12)
Ich habe mir erstmal den HR2 Podcast angehört. Bin ja gerade in Corona Quarantäne und habe viel Zeit.
Ich weiß nicht, ob ich jemandem verzeihen könnte, der mir oder meinen Eltern Leid angetan hat. Diejenigen, die das können, sind wirklich große Menschen wie z.B. Margot Friedländer, aber auch die drei Frauen in Ruanda, über die berichtet wurde. Dabei hoffe ich selbst doch auch, dass mir vergeben wird und ich wieder mit meinen Mitmenschen in Frieden leben kann, wenn ich gedankenlos etwas getan oder gesagt habe, was andere verletzt.
Ein Zitat möchte ich zu dem Thema Krieg/Frieden/Versöhnung noch loswerden. Es stammt aus dem 04/23 Rundschreiben von medico international und ist von Yehudas Shaul, zu Netanjahus gescheiterter (Sicherheits)Politik:
"Wenn man seine nationale Sicherheit ausschließlich auf Gewalt gründet, muss man 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche 'gewinnen'. Für immer. Und es reicht, wenn man es eines Morgens nicht tut" Das klingt für mich sehr einleuchtend und furchtbar anstrengend.