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Angst

Vor kurzem habe ich in einer Zeitung ein Loblied auf die Angst gelesen. Ja. Dieses negative, unangenehme Gefühl soll es gut mit uns meinen. Wir sollen uns mit unserer Angst anfreunden. Sie gehöre untrennbar zu unserem Leben (wie der Tod). Das hat mir doch Anstoß gegeben darüber noch mal ganz neu nachzudenken.

Angst hat einen schlechten Ruf, gilt als schlechter Berater. Sie ist ein negatives Gefühl, welches wir am liebsten nicht fühlen und stattdessen lieber verdrängen würden. Wir haben aber wahrscheinlich alle schon erfahren, dass die Angst durch weg drängen und unterdrücken, umso stärker wird und länger anhält. 

Wir sollen unsere Angst anschauen, ihr ins Auge blicken, sozusagen. Wir sollen sie genauer analysieren, betrachten und einordnen. Das hilft manchmal schon erheblich sie  zu mindern oder "herunterzufahren".

Das kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen. Seitdem ich meiner Hundeangst ins Auge schaue, nicht dem Hund, denn das könnte ihn provozieren, sondern nur der Angst, ist sie weniger geworden. Tatsächlich. Ich habe mir auf YouTube ein paar Videos angeschaut und mir auch überlegt, wie wahrscheinlich oder eher unwahrscheinlich es ist, dass ich von einem Hund gebissen werde. Das ist bei der Masse an Hunden, die mir täglich begegnet und die mich noch nie angegriffen haben, wirklich sehr unwahrscheinlich. Es war auch ein bisschen Trotz dabei. Ich wollte mich einfach nicht weiter dermaßen von meiner Angst einschränken lassen. Und dass mir täglich eine Unmasse von Hunden begegnet, kann ich ja nicht ändern. Ich bedanke mich manchmal bei den Hundebesitzer*innen, wenn sie ihren Hund zurückrufen und an die Leine nehmen. Seitdem sind mir auch diese Kategorie Menschen, ich meine die Hundeliebhaber*innen, sympathischer geworden und manchmal sogar ihre Lieblinge... Ich bin 2 mal im Leben von einem Hund gebissen worden, einmal als drei oder vierjähriges Kind und einmal auf einer Kretareise. Das waren beides spezielle Situationen, die einem selten begegnen.

Als Kind hatte ich vor allem Angst. Sogar vor dem Zubettgehen, weil ich dachte, es liegt einer unter meinem Bett und alles was herauslugt oder was übersteht, wird abgebissen. Ich lag starr und steif vor Angst , die Decke bis über die Nase gezogen, nicht über die Ohren, die mussten frei bleiben, damit ich das Ungeheuer hören könnte, wenn es sich bewegt. Diese Angststarre bis ich eingeschlafen bin. Geholfen hätte, einfach ein Lichtlein anzulassen. Das war aber keine Option, ich weiß nicht warum. Wahrscheinlich deswegen, weil keiner der Erwachsenen ahnte, welche Ängste ich ausstand. Ab und zu wurde die Tür von der Treppe zur Wohnküche einen Spalt breit offen gelassen und das hat geholfen. Das entfernte Stimmengemurmel, ein Klappern, die Geräusche, all das waren Verbindungen zum normalen "ungefährlichen" Leben und beruhigte mich. Aber auch in der Angststarre unter meiner Bettdecke schlief ich irgendwann erschöpft ein und erwachte am nächsten Morgen wundersamer Weise ohne den Verlust von Körperteilen. Und auch die Angst war vergessen. Bis zum nächsten Abend.

Es gab noch viele andere Ängste, z. B. dass meine Mutter stirbt. Oder vor Fremden. Vor "bösen" Männern. Vor Hunden, Pferden, wilden Tieren. Vor tiefem Wasser, vor Höhe. Davor angesprochen zu werden und nicht zu wissen, was ich antworten soll. Davor, etwas Dummes zu sagen. Angst vor dem Spott der Erwachsenen. Angst, meiner Mutter Anlass für Ärger oder schlechte Laune zu geben.

Ich könnte das noch lange fortsetzen.

Viele dieser Ängste habe ich im Laufe der Jahre abgelegt, überwunden. Je älter ich werde desto angstfreier. Einerseits. Andrerseits kommen neue Ängste hinzu. Durch den Artikel in der Krankenkassenzeitung wurde ich angeregt, positiver über meine Ängste zu denken. Vor wie vielen Gefahren hat mich meine Angst bewahrt, vor wie vielen Unfällen, Verletzungen? Die Angst schärft unsere Sinne und die Wachsamkeit. Und das hat eigentlich ganz gut funktioniert bei mir. Die Angst hat mich davon abgehalten unnötige Risiken einzugehen. Und nur Risiken, die ich gut einschätzen konnte und mich deshalb getraute meine Angst zu überwinden.

Angst gehört zu unseren Grundemotionen, also zu uns selbst.  Sie ist einfach da, allgegenwärtig. Wir müssen sie akzeptieren. Und die Einstellung zu ihr ändern, sie als ein positives Gefühl sehen. Sie warnt uns rechtzeitig vor möglichen Gefahren und ist uns von Urzeiten her in unsere Gene eingeschrieben. Die eigene Angst ist ein Teil von uns und die Auseinandersetzung mit ihr ist eine Auseinandersetzung mit uns selbst. Die Auseinandersetzung mit unserer Angst birgt ein enormes Potential sich weiterzuentwickeln. Die Angst kann uns dazu antreiben, nach neuen Lösungsmöglichkeiten zu suchen und dadurch unsere Kreativität und Selbstwirksamkeit stärken. Und dadurch wird wiederum unsere Angst weniger, eine positive Aufwärtsspirale sozusagen. Denn Angst haben wir meist davor, was wir nicht kontrollieren können.

Also, das klingt doch verlockend, oder? Freunden wir uns also mit unserer Angst an (wie mit dem Tod)!

 

 

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