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Ich sehe dich!

Ich sehe dich! Ist die Begrüßung von einem Volk in Namibia. Eine kleine Geschichte kam dazu in dem Film vor: Wenn ein Dorf beschlossen hat, einen Menschen wegen seines Fehlverhaltens zu bestrafen, wird ihm dieser Gruß entzogen. Er wird einfach ignoriert. Und diese Strafe kann bis zum Tod des "Sträflings" führen. 

Gerade zu Corona Zeiten, aber auch schon davor, bemerke ich, wie angenehm, aufbauend und inspirierend es ist, von einem Menschen g e s e h e n zu werden. Ein Mensch, der vorübergeht, einen Moment aufblickt, mich ansieht und mir einen Gruß, ein Lächeln oder beides schenkt. Großartig. Das macht gute Laune. Das baut auf. Das verbindet. Es sagt mir: Ich sehe dich! Du bist ein Mensch, wie ich. Ich bin ein Mensch, wie du. So ein kleines Erlebnis versüßt mir den ganzen Tag und ich denke, wie einfach ist es doch, das Leben schön zu machen. 

Dieses gesehen werden und die positiven Gefühle, die es auslöst, stehen im Gegensatz zu der Smartphone Manie, der ständige Blick aufs Handy, ob neue Nachrichten, neue Infos, neue Fotos angekommen, eingegangen sind (oder auch nicht). Ich sitze in einem ganz netten Plaudergespräch, in dem ich mich gesehen fühle, als Mensch. Das allgegenwärtige Smartphone vibriert oder macht ein Geräusch und sofort bin ich raus aus der Aufmerksamkeit meines Gegenüber. In die zweite Riege gerückt. Das andere steht jetzt im Mittelpunkt, im Fokus der Aufmerksamkeit. Ich bin abgemeldet, wie Luft. Im besten Fall, gibt es eine kurze Erklärung, wer oder was jetzt für meinen Gegenüber wichtiger ist oder ich werde einbezogen und bekomme die neu eingegangenen Infos oder Fotos gezeigt. 

Häufig ist aber das Gespräch mit mir einfach beendet. Das Thema ist einfach beendet. Was zuvor gesprochen wurde, tritt in den Hintergrund, ist vergessen, unbedeutend. 

Kann sein, dass ich da überempfindlich bin. Dass mein leicht erschütterbares Selbstbewusstsein zu anfällig, zu labil ist. Vielleicht aber auch nicht. Vielleicht geht es allen (ein bisschen) so? 

Der Gruß " Ich sehe dich", ein aufmerksamer Blick, eine ungeteilte Aufmerksamkeitssekunde, die Krönung: Ein Lächeln. Das andere, das nebenbei laufen, das "abserviert" werden, ist jedes Mal eine (kleine oder größere) Kränkung. 

Bin ich Gaga? Zickig? Übertrieben sensibel?

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Kommentare: 1
  • #1

    marianne (Donnerstag, 03 Juni 2021 09:24)

    Liebe Evi,
    nee das finde ich gar nicht.
    Mir fällt dazu ein Gedicht von Eva Strittmacher ein:

    Lächeln
    Mein Grundbedürfnis geht nach Liebe.
    Ich wünschte sehr, dass man mich liebt.
    Und dass mein Lächeln leben bliebe,
    wenn es mich einmal nicht mehr gibt.
    Das Höchste, was man hat, ist Bindung . Durch Liebe,
    Ich ertrage nicht, die mir verweigerte Empfindung.
    Ich öffne allen mein Gesicht.
    Mit einem Lächeln. Magisch scheinen in mich die anderen hinein.
    Und ich kann sie in mir vereinen und sie vervielfachen mein Sein.

    Liebe Evi,
    bin vor einigen Tagen durch Wetzlars Altstadt gelaufen und hatte das Gefühl von einer sich verändernden Atmosphäre in Richtung von mehr Offenheit, Freundlichkeit, Achtsamkeit.
    Nur eine Momentaufnahme. Und dennoch: ein Lächeln.
    Herzliche Grüße