Die zweite Geschichte handelt von Ramon. Wir trafen ihn auf einer Fiesta in einem Städtchen namens Viana. Die Fiesta war eine Art Mini-Pamplona Fiesta, wo ja bekanntlich Stiere durch die Straßen getrieben werden und mutige Männer vor den wilden Tieren herrennen und versuchen, nicht von den spitzen Hörnern aufgespießt oder zu Boden getrampelt zu werden.
In Viana war das einige Grade ungefährlicher. Die Stiere waren Kühe, aber mit ordentlich spitzen Hörnern. Der ganze Ort war Fest und die Bars und Restaurants waren entweder geschlossen oder sehr voll. Überall gab es das gleiche zu essen, wohl der Einfachheit halber, und das gleiche zu trinken, nämlich eine Art Cidre oder Apfelwein, der für meinen Geschmack untrinkbar war. Apfel Essig und nicht zum Trink Genuss geeignet. So weit ich mich erinnere war es Ramon der uns rettete, weil er uns half in dem ganzen Trubel ein anderes, genießbareres Getränk zu erhalten, was uns zuvor aus mangelnder Sprachkenntnis und weil die Einheimischen sich wohl nicht vorstellen konnten, dass ein so leckeres Getränk nicht schmecken soll. Ramon war mit einer Gruppe spanischer Pilger auf der Fiesta und sprach uns an, weil er uns als fremdländische hilfsbedürftige Pilger erkannte. Er kümmerte sich um uns, vermittelte uns was genießbares zu trinken und zu essen und erklärte uns was es mit der Kuh Corrida auf sich hat. Die fand noch am Abend in den Gassen von Viana statt und die Aufregung reichte mir gerade, dass ich die Stier Wagnisse von Pamplona nicht zu erleben wünschte.
Ramon sollte uns begleiten bis nach Santo Domingo de la Calzada, dem Ende unserer Etappe des Jakobsweges. Er war schon viele Male den Camino gegangen und wurde für mich eine Art Verkörperung von Pilgerschaft. Diese aufmerksame Gelassenheit. Das zeigte sich zu aller erst in seinem unverwechselbaren Pilgergang: Eher langsame, gemessene Schritte, die Füße nicht anhebend Energiesparend, dafür aber gleichmäßig und sehr ausdauernd. Ein Schritt, der sozusagen das genaue Gegenteil von Stechschritt (auch solche Pilger trafen wir) ist. Dieser Pilgerschritt lehrte mich, was der Mensch durch kontinuierliche Langsamkeit und Ausdauer erreichen kann: Alles, oder zumindest soviel, wie durch eiliges hektisches Gehen. Wenn wir Ramon auch tagsüber auf dem Weg nicht begegneten, abends trafen wir ihn in der Herberge sicher wieder.
Neben diesem unverwechselbaren Pilgergang, zeichnete Ramon auch sein Outfit aus: Schlicht. Keinerlei sportlich gestylte Outdoor Ausstattung. Und wenig. Er hatte lediglich einen kleinen Stoffrucksack dabei, auf dem Kopf ein Sonnen- Regen Hütchen und natürlich einen Pilgerstock. Das wars.
Da Ramon kein Deutsch sprach und wir kein Spanisch war die Verständigung am Anfang schwierig, klappte aber mit der Zeit dank der Lateinkenntnisse und der Kreativität von Roland immer besser: Er hängte an die lateinischen Wörter ein O und versuchte sie spanisch auszusprechen und siehe da, es funktionierte. Ramon verstand nach und nach was Roland ihm mitteilen wollte. Diese Art der Verständigung war für mich sehr amüsant. Den immer neuen Kreationen spanischer Wörter zuzuhören war kurzweilig. Auch Ramon fand das lustig, wenn er auch viel zu höflich war laut darüber zu lachen. Er war sogar so höflich und freundlich ohne Kommentar zu dulden, dass Margarete häufig Jamon, also Schinken zu ihm sagte.
An unserem letzten gemeinsamen Abend in der Herberge kochte er für uns. Eine große Tafel von Pilgern. Ich weiß nicht mehr genau was, nur dass eine rieeeesige Schüssel Salat dabei war.
Das war Ramon, ein feiner Mensch. Was wohl aus ihm geworden ist? Wie viele Male er den Weg wohl noch gegangen ist?
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Friess (Samstag, 24 April 2021 16:30)
Noch eine schöne Erinnerung. Prima.