Wir waren mit dem Nachtzug von Paris nach Pau gereist und von dort, nach einem kleinen Frühstück am noch verschlafenen Bahnhof, weiter mit einem Bummelzug nach Oloron, ein Ort an den Pyrenäen. Von dort nahmen wir den Bus direkt zum Somport Pass, der auch die Grenzstation zwischen Frankreich und Spanien darstellt.
Wir hatten den Somport Pass als Startpunkt für unsere Pilgerreise gewählt und nicht St. Jean Pied des Port, zum einen aus Bequemlichkeit, aber auch um den Pilgermassen nicht gleich zu Anfang zu begegnen. Der Start in St. Jean Pied des Port bedeutet am 1. Wandertag mehr als 1000 Höhenmeter Aufstieg.
Wir hatten also den kommoderen und einsameren Weg gewählt, zumindest für den ersten Abschnitt bis die beiden Wege sich in Puente la Reina treffen und ab da führt nur ein Hauptweg zum Ziel Santiago di Compostela. Aber der Weg ist ja das Ziel. Also zurück auf Start ziemlich genau um 12 Uhr mittags.
Unser Weg beginnt direkt am Somport Pass, an einem großen Haus, was aussieht wie eine große Alpenvereinshütte und führt uns abwärts über Almwiesen mit eingestreuten Felsenbrocken und weidenden Kühen. Noch sind wir auf der Hut den Weg nicht zu verlieren und suchen ständig nach der Jakobsmuschel oder dem großen gelben Pfeil, der die Kennzeichnung des Weges ist. Der Dunst hatte sich noch nicht ganz aufgelöst und es war noch angenehm temperiert, als uns keuchend und schnaufend, mit hochrotem Kopf ein Pilgerlein entgegenkam, völlig aufgelöst und aufgeregt und mit einem Hütchen auf dem Kopf, was ich einer Engländerin zugeschrieben hätte. Margarete, wie sich am nächsten Tag herausstellen sollte, aus Baden Württemberg. Die Pilgerin war sehr aufgeregt, was auch verständlich war, sie hatte nämlich schon auf dem ersten Kilometer ihre rote Jacke mit Fotoapparat und anderen wichtigen Dingen verloren. Ihr Rucksack hing tief bis über ihren Popo und war so schwer, dass sie sich vornüber beugen musste, um nicht nach hinten zu kippen. Also nicht gerade ergonomisch. Für den Weg aufwärts war es schon warm genug, um ordentlich ins Schwitzen zu geraten und die Aufregung tat ihr übriges. Für eine kurzes Wegstück halfen wir nach der Jacke zu suchen, überließen sie aber dann ihrem Schicksal und der Hilfe des Hl. Jakobus und setzten unseren Weg bergab fort. Wir wollten nicht zu spät in unserer ersten Herberge ankommen, um uns eine erholsamere Nacht, wie die letzte im Nachtzug zu sichern.
Canfranc ist ein kleiner Ort mit einer einzigen Tapas Bar, die uns jedoch ein köstliches Abendessen und ein ebensolches Frühstück bescherte. Ein weiteres Kennzeichen des Ortes: Eine freilaufende Hundemeute, die angeführt wurde von einer riesenhaften Dogge! Und ich mit meiner Hundeangst. Es erschien mir, wie die erste Prüfung des Hl. Jakobus, ob ich auch tapfer genug für den Weg wäre. Ja, es ist mir gelungen die Angst klein zu halten, sogar als die Dogge in der Tapas Bar auftauchte. Keiner nahm so richtig Notiz von ihr und sie nicht von mir. Also versuchte ich das auch, was mir leidlich gelang.
Die zweite Prüfung des Jakobsweges war Margarete, wie sich herausstellen sollte. Sie begleitete uns bis nach Santo Domingo de la Calzada, dem Endpunkt unserer ersten großen Etappe des insgesamt etwa 850 km langen Weges nach Santiago (da wir den Weg nicht in einem Stück gehen konnten, wie viele Pilger, waren wir 3 Jahre hintereinander, immer zur selben Jahreszeit und in dem Ort anschließend wo wir im Jahr davor endeten, unterwegs). So oft wir uns auch voneinander verabschiedeten, trafen wir uns wieder, auf dem Weg oder in der Herberge oder in einem Cafe´.
Am 2. Wandertag trafen wir sie gleich auf den ersten Kilometern des Weges, am Wegrand sitzend, schon wieder ziemlich erhitzt und uns freudig berichtend, dass sie ihre Jacke wieder gefunden hätte, dass ihr Rucksack jedoch viel zu schwer sei, vor allem, weil ihr Ehemann viel zu viele Müsliriegel, Nussmischungen, Trockenfrüchte und Snacks usw. reingepackt habe und sie auch viel zu viele Klamotten dabei habe. Ächzend und stöhnend kam sie nur mit viel gutem Zureden unsererseits und mit vielen Pausen bis Castiello de Jaca, eine Ortschaft vor unserem heutigen Ziel. Margarete wollte keinen Kilometer mehr weitergehen und sich in diesem Ort in ein Hotel einquartieren und überlegen, wie es mit ihr weitergehen soll. Wir verabschiedeten uns und wünschten uns Buon Camino, um unseren Weg etwas erleichtert und in unserem Tempo fortzusetzen. Nach wenigen Metern sagte ich zu Roland: Pass auf. Margarete sehen wir bald wieder. Und so war es auch. In Jaca in der Herberge angekommen, stellte sich heraus, dass Margarete schon da war und ein Bett in meiner Koje direkt neben mir hatte. Sie war, wie auch immer, motorisiert nach Jaca gekommen.
In dieser Nacht begann ich meine Studien zu den vielfältigen Schnarch- Stilen. Der gute Hape Kerkeling weiß gar nicht was er alles verpasst hat, da er immer in einsamen Hotelzimmern nächtigte, ohne Herausforderungen. Schlafen in einem Raum mit Schnarchern, manchmal genügte schon einer, um den ganzen Saal wach zu halten. Wenn es gelang trotzdem irgendwann einzuschlafen, konnte es allerdings passieren, dass ein nächtlicher Klogänger über die gesammelten Wanderstöcke stolperte und diese mit lautem Getöse wie Mikado Stäbchen zu Boden gingen. Sicher war dann der ganze Saal wach, bis auf den besonders lauten Schnarcher.
Über die Nacht in Jaca steht in meinem Tagebuch: Margarete schnarcht von rechts, von links hinter der Sichtschutz Abtrennung schnarcht ein anderer und von weitem höre ich auch noch meinen Roland schnarchen. Das war zu viel. Margarete war aber eindeutig am lautesten, mir auch am nächsten und sie behauptete am Morgen, wie erwartet, dass sie kaum geschlafen habe wegen der vielen Schnarcher.
Wieder ein Abschied, weil wir einen Umweg über das Kloster San Juan de la Pena und die Balcones Pyrenes machen wollten und Margarete heute erstmal ihren Rucksack reduzieren und ein paar Kilo nach Hause schicken wollte. Wir trafen sie dann erst drei Tagesetappen weiter in Artieda in der Herberge wieder, wo sie wiederum schon vor uns angekommen war und auch schon "große" Wäsche gemacht hatte, groß in Anführungszeichen, da sie mit dem Nachhause Schicken wirklich ernst gemacht und nur noch eine kurze Hose und 2 Shirts behalten hatte. Mutig, mutig und entschlossen. Das war sie. Sie wollte ja den ganzen Jakobsweg am Stück zurücklegen, mit ihrer reduzierten Garderobe.
Die dritte Prüfung des Jakobsweges brachte der Weg zum Kloster San Juan de la Pena. Aber das ist eine andere Geschichte.
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Friess (Donnerstag, 15 April 2021 18:53)
Sehr schöne, interessante Geschichte.
Friess (Donnerstag, 15 April 2021 23:00)
Schöne, interessante Geschichte.