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Der Wald

Schon als Kind hatte der Wald für mich eine besondere Bedeutung. Das lag vor allem an meinen Großeltern Eva und Vinzenz, die sehr unterschiedlich waren, aber in diesem Punkt einig: Der Wald ist eine stetige Quelle von Gutem. Der Wald spendet Lebensmittel, Nachschub für Heizmaterial und Köstlichkeiten, wie Heidelbeeren und Pilze und Maiglöckchen. Und es ist wohltuend sich darin aufzuhalten. 

Das Lob von Oma Eva, wenn ich den ersten Pfifferling der Saison oder den dicksten Ast beim Holzsammeln gefunden hatte, machte mich für viele Tage glücklich und wichtig, stärkte mein Selbstbewusstsein mehr als 5 Mark für ein gutes Zeugnis. Gesammelt im Wald wurde zu verschiedenen Jahreszeiten: Holz, Tannenzapfen, Bucheckern, Pfifferlinge, Steinpilze, Maronen, Heidelbeeren, Brombeeren, Tannenzweige, Maiglöckchen und Walderdbeeren. 

Besonders das Holzmachen war eine große Sache. Mit einem Leiterwagen zogen wir in den Wald, ein ansteigender Weg. Vorne Ziehen, hinten schieben. Auf dem Rückweg ziehen und bremsen. Das Holz wurde dann zersägt, gehackt von Hand und fein säuberlich aufgestapelt zum trocken Lagern in einem Schuppen. Das machte Opa. Ab und an kam ein fahrendes Sägewerk mit Motorsäge von Haus zu Haus.  Das  kreischende Geräusch beim Zersägen des Holzes war nicht schön.

Dazu wurden Tannen- und Kiefernzapfen gesammelt und getrocknet zum Feueranzünden (zusätzlich zu den Holzspreißeln, die Opa hackte).  Im Wald war ich mit Feuereifer dabei die dicksten Äste herbei zu schleppen und auf den Wagen zu laden.  

Der Geruch des Waldes zu verschiedenen Jahreszeiten. Nach Pilzen, nach frischem Tannengrün, nach vermodernden Blättern, feuchter Erde und harzigem Holz in der Sonne. 

Diese Woche war ich mehrere Stunden im Wald und hinterher so glücklich, präsent, körperlich eins, wie schon lange nicht mehr. Der Wald ist Balsam für meine Lunge und meine Seele.

Und was es da zu entdecken gibt! Eicheln, die sich knallrot verfärben, beim Aufplatzen und Keimen. Pilze, die Holz besiedeln, zerlegen und regelrecht aufessen. Pilzkolonien, die fächerförmig schön aussehen und eklige Schleimpilze, Moospolster aus grünen Sternchen und Baumstümpfe, die aussehen wie chinesische Landschaftsminiaturen. 

Im Auftrag der Försterin entfernen wir Plastikummantelungen von Bäumchen, die herausgewachsen und kräftig genug sind, dass sie diesen Schutz nicht mehr brauchen. Die jungen Bäumchen sind so unterschiedlich groß und kräftig, dass es schwer vorstellbar ist, dass sie alle gleichzeitig angepflanzt wurden. Bei vielen sind zudem Baumgeschwister gewachsen, die oft kräftiger sind als die angepflanzten. 

Der Wald ist alles andere als aufgeräumt. Man sieht, dass die Förster*innen nicht mehr nachkommen, die umgestürzten Bäume und abgebrochenen Äste von den Neuanpflanzungen zu entfernen und Brombeerranken überwuchern zusätzlich alles. Aber der Wald lebt. Die Anpflanzungen braucht es dazu eigentlich nicht. Es wächst viel. Einfach so. Der Wald braucht uns, den Menschen nicht, um sich zu erneuern. 

Als Kind wurde ich ab und zu, von Oma?, " Waldhex" genannt. Damit kann ich mich heute auch noch identifizieren.

Der Wald vermittelt eine Vorstellung von  Werden und Vergehen. Ein einziges geheimnisvolles Netzwerk.

Diese Woche im Wald. Ich fühlte mich behütet und eingebettet. Einfach nur Da-Sein und Lassen und Schauen. Das können wir lernen.  

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Friess (Freitag, 08 Januar 2021 12:17)

    Wunderschöner Bericht