Ja, so war meine Mutter. In einigen Bereichen knochentrocken, cool und realistisch, in anderen das ganze Gegenteil. Cool und realistisch war sie was den Tod anging, den eigenen, aber auch insgesamt. Die Verheißung von ewigem Leben, von Wiederauferstehung im Himmel, in der Hölle oder wo auch immer, hielt sie für Unsinn, für eine heimtückische und fiese Erfindung der Religionen, die damit verhindern wollen, dass Menschen ein besseres Leben hier und jetzt verlangen. Sie glaubte, dass nach dem Leben alles aus ist. Ruhe, Frieden. Nicht als Bedrohung, sondern eher als Befreiung. Sie glaubte auch nicht an einen Gott und nicht, dass Jesus etwas anderes war, als ein Mensch (ein besonders guter und kluger, vielleicht). Ich habe sie nie beten gehört. Auch nicht in ihrer letzten Phase. Trotzdem ist sie nicht aus der katholischen Kirche ausgetreten. Ein Grund dafür mag gewesen sein, dass sie nicht wagte, zumal in Bayern, sich mit einem Austritt aus der Kirche zu weit außerhalb der gesellschaftlichen Konvention zu stellen. Was mit ihren sterblichen Überresten geschehen sollte, war klar: Sie wollte verbrannt werden und das Urnengrab möglichst wenig Aufwand erfordern. Sie wäre sicher auch einverstanden gewesen, die Urne in ihrem Garten zu verbuddeln.
Der Garten bedeutete ihr viel. Als sie dort nicht mehr viel arbeiten konnte und ihr der Weg dorthin (am anderen Ende der Stadt) schwerer fiel, verlor sie viel Lebenslust.
"Du bist wie deine Mutter" hört keiner so wirklich gerne?! Oder? Trotzdem denke ich das oft selbst: Ich bin wie meine Mutter. Und ich werde mit zunehmendem Alter meiner Mutter immer ähnlicher? Im Denken und im Aussehen. So gut wie nie denke ich, ich sehe meinem Vater ähnlich. Obwohl ich von ihm mindestens genau soviel habe.
Auch Stimme und Mimik und den (über)empfindlichen Geruchssinn habe ich von meiner Mutter.
Aber bin ich deshalb wie meine Mutter? Nein, ich glaube ganz und gar nicht. Um darauf zu kommen, brauchte ich allerdings einen (professionellen) Berater, der immer, wenn ich mit diesem Satz ankam, ich bin wie meine Mutter, mich korrigierte und darauf aufmerksam machte, dass das nicht stimmt, nicht stimmen kann: Andere Kindheit, andere Jugend, andere Generation, andere Umstände, anderes Leben, andere Einflüsse, andere Gesellschaft.
Ich habe aber viel gelernt von meiner Mutter. Das wichtigste: Lerne einen Beruf mit dem du dich unabhängig von einem Mann ernähren kannst! Ganz wichtig. Das hat mich geprägt. Auch weil ich gesehen habe, wie sehr meine Mutter unter dieser Ungleichheit litt, sich eingeschnürt gefühlt hat. Ja in dieser Zeit brauchten Frauen die Zustimmung ihrer Ehemänner, wenn sie berufstätig werden wollten. Und sie brauchten ebenso die Zustimmung um ein eigenes Konto zu eröffnen. Mit dieser Ungerechtigkeit und Ungleichbehandlung ist meine Mutter nicht gut zurechtgekommen, auch wenn mein Vater alles andere als ein Patriarch war und sich nie getraut hätte, ihr sowas zu verbieten. Aber einfach die Tatsache, dass die Gesetze so waren und auch die gesellschaftlichen Verhältnisse, das hat sie aufgebracht. Und sie hat dagegen opponiert. Leider als Einzelkämpferin und nicht in einer Gruppe. Das wäre ihr vielleicht besser bekommen.
Sie hat z. B. sehr früh den Führerschein gemacht und hatte auch bald danach ein eigenes Auto. Was ihr die Bewunderung von andern Frauen ihrer Generation einbrachte, leider auch den Nachteil, dass sie diese, die sehr viel später oder nie den Führerschein machten, häufig durch die Gegend kutschieren musste. Auto fahren zu können hatte große Bedeutung, nämlich Unabhängigkeit. Von vielen Alltagsverrichtungen und Alltagsverpflichtungen fühlte sie sich eingeschnürt und eingeengt und hätte sich gerne davon befreit. Was ihr in kleinen Bereichen sogar gelang.
Meine Mutter: Heute wäre sie 94 Jahre alt geworden.
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Marilena (Montag, 01 März 2021 19:35)
Danke Evi, für den realistischen, liebevollen Beitrag über MEINE OMA ♡