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Schuldübertragung

Nachdem ich meine Strahlenbehandlung (hoffentlich erfolgreich) abgeschlossen habe, kann ich mich wieder anderen Themen zuwenden. Heute ein paar Gedanken zu dem Thema Verschiebung von Schuld auf jeweils "Andere". Dieses Thema beschäftigt mich schon lange, weil ich bei mir selber feststelle, wie einfach es doch ist, Schuldige für ein Problem dingfest zu machen und damit ist das Problem gelöst. Mitnichten! Damit ist gar nichts gelöst. Eher im Gegenteil. Durch Verdrängung und Schuldverschiebung gibt es keine (Er-)Lösung. 

Was meine ich damit?

Beispiele für eine Verschiebung oder Auslagerung eines Problems sind:

-Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit wird auf die neuen Bundesländer verschoben.

-Antisemitismus wird auf Muslime verschoben. 

-Frauenfeindlichkeit ebenso. 

-Die Schuld für die schnelle Ausbreitung von Corona wird auf Jugendliche  und deren verantwortungsloses Verhalten geschoben.

-Bei den Coronaleugnern wird gar die Schuld an der Coronapandemie auf die Virologen und Politiker verschoben.

 

Diese Verdrängung und Verschiebung von Schuld nach außen und auf jeweils identifizierte Gruppen "Anderer" verhindert jedoch die Auseinandersetzung mit dem eigenen Rassismus, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit, Frauenfeindlichkeit, diskriminierendem Verhalten, Autoritätsgläubigkeit. Verdrängung und Verschiebung verhindert Trauerarbeit und Erinnerungsarbeit wie Margarete Mitscherlich sie für eine (Er-)Lösung für notwendig hält.

Eine Schuldzuweisung auf Andere erlaubt, sich selbst zu distanzieren, als ob man mit einem Problem nichts zu tun hat (nur die Anderen). Wie sonst ist es zu erklären, dass eine große Mehrheit der Deutschen denkt, dass es in ihrer Familie keine Nazis gab. (Ein paar sehr interessante Daten dazu präsentiert der Kurzfilm "Masel Tov Cocktail", der in der ARD und Arte Mediathek noch zu sehen ist).

Auch die Verschiebung von Antisemitismus auf "vor allem in muslimisch geprägte Kulturkreise", wie Philip Amthor, es formuliert, ist in Anbetracht von den rechtsextremistischen Anschlägen in Halle und Hanau geradezu grotesk. Und für die Opfer der NSU Morde aus eben diesem "Kulturkreis" eine weitere Kränkung. 

 

Trauerarbeit, Erinnerungsarbeit gelingt nur, (nach Margarete Mitscherlich), wenn wir die Angst und die Widersprüche in uns zulassen und aushalten. Und eben nicht Schuld verschieben auf Andere.

 

Max Czollek wendet sich gegen "die Verdrängung biografischer Bezüge", durch die Kontinuitäten und Tradierungen erst ermöglicht würden. Mit dem Gerede von Heimat und deutscher Leitkultur wollten Vertreter der Mehrheitsgesellschaft sich gegen Minderheiten durchsetzen. Es brauche indes keiner neuen großen Erzählung, sondern einer Besinnung auf das Grundgesetz. Er prangert das "Gedächtnistheater", was seit den 80 Jahren in Deutschland aufgeführt werde, an, was "die Behauptung individueller und familiärer Unschuld erlaube, während Rassismus und Antisemitismus fröhlich Urständ feiern". 

Max Czollek fordert, um die Gegenwart zu bewältigen,- und darum geht es ja-, müssen wir die Realität einer pluralistischen Gesellschaft anerkennen. Er empfiehlt, sich die Anliegen der anderen zu eigen zu machen und sich gegen diverse Diskriminierungen zu verbünden. 

Man könnte ergänzen: Und sich nicht weiter an der Spaltung beteiligen durch Schuldverschiebung auf die (jeweils) Anderen.

 

Max Czollek: "Desintegriert Euch" und "Gegenwartsbewältigung"

Margarete Mitscherlich: "Eine Liebe zu sich selbst, die glücklich macht"

 

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Friess (Donnerstag, 29 Oktober 2020 22:50)

    Habe mir Masel Tov Coktail angeschaut. Sehr sehenswert. Danke für den Tipp.