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Einsamkeit

Ringsum nur andere Gärten. Einige Jahre besuchte ich den Mann ab und zu. Für ihn waren diese Hausbesuche große Ereignisse. Ich weiß noch, wie er einmal ein neues Kaffeegedeck extra für mich erworben hatte, weil das alte Geschirr abgeschlagen und zerkratzt war. Und wie stolz er war, mir das vorzuführen. 

Der Mann hatte einen kleinen Hund , einen Dackel, und das Hundchen schien sich ähnlich über meine Besuche zu freuen, wie sein Herrchen, auch wenn er während meiner Besuche im Garten bleiben musste. Herr F. und ich diskutierten über soziale und politische Probleme, auch Kultur, vor allem Literatur. Der Mann suchte sich oft Bücher aus den offenen Bücherschränken. Auch sammelte er Kochbücher und konnte mit wenigen und einfachen Zutaten Mahlzeiten zubereiten, die die Gartenhütte mit verlockenden Düften erfüllte, wenn sie auch nicht den Zigarettenrauch überdecken konnten. Damals rauchte ich selbst noch und zwar Zigarillos und ich lud den Mann ein, mit mir ein oder zwei davon zu rauchen, was er gerne annahm. 

Also diese Hütten-Haus-Besuche dauerten immer etwas länger, als andere, nicht nur, weil der Weg recht weit war, sondern auch wegen dem ungeheuren Rede- und Kontaktbedürfnis des Mannes.

Wegen seines Unfalls war der Mann gehbehindert und da die Gartenhütte, wie schon erwähnt, sehr weit draußen lag, brauchte er eine Hilfe beim Einkaufen. Es mussten ja u.a. ziemlich große Mengen Trinkwasser beigeschleppt werden. Ein sozialer Hilfsdienst, der damals überwiegend mit Zivildienstleistenden arbeitete, erklärte sich bereit, diese Arbeit zu übernehmen. Diese Unterstützung war ein wahrer Segen für den Mann, nicht nur wegen dem Herbeischleppen von Trinkwasser und anderen Lebensmitteln, sondern auch wegen der einzigen regelmäßigen Kontakt- und Kommunikationsmöglichkeit. Dieser Kontakt mit den jungen Zivis und der Dackel haben diesen Menschen getragen und am Leben erhalten.

Eines Tages starb der Hund. Bei meinem darauffolgenden Besuch war der Mann sehr traurig und erzählte mir vom Ende seiner Lebensgemeinschaft und wie er unter Tränen das Tier im Garten begraben hat. Beim Abschied bat mich der Mann, ob er mich einmal kurz umarmen dürfe. Diese Bitte erschreckte mich erst ein wenig aus verschiedenen Gründen. Dann aber überwog die Ernsthaftigkeit der Situation und wir umarmten uns ganz kurz und scheu, beiderseits. Als ich von dannen stapfte und noch einmal zurückblickte, stand der Mann am Gartenzaun und winkte mir zu. Und ich wusste, das war das letzte Mal, dass ich ihn sehe.

Wenige Wochen später erhielt ich von ihm einen Anruf aus dem Krankenhaus, es gehe ihm sehr schlecht, er habe nicht mehr lange zu leben und wolle sich von mir verabschieden. Schon einige Tage später, als ich versuchte zurückzurufen, meldete sich eine Krankenschwester und teilte mir mit, dass Herr F. verstorben ist. 

Und diese ganze Geschichte fiel mir in dem Moment ein, als ich den einsamen Wanderer frühmorgens an meinem Haus vorübergehen sah.

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