Bei meinen Hausbesuchen bei dem pflegebedürftigen jungen Mann, war ich immer froh, wenn ich nach einer halben Stunde wieder verschwinden und ihn der Obhut von Herrn P. überlassen konnte. Der junge Mann und auch seine Unterkunft waren schwer zu ertragen. Es handelte sich um eine Notunterkunft in einem einfachen Hotel im obersten Stockwerk, auf dem noch viele andere wohnungslose Menschen untergebracht waren: Ein kleines Zimmer mit Dusche und WC, karg eingerichtet, nur mit einem kleinen Oberlichtfenster ausgestattet. Durch ein Anfallsleiden und die Medikamente war der Mann schwer geschädigt und behindert, wollte dies aber zum Teil nicht wahrhaben. Er schwankte ständig zwischen mackerhaftem Größenwahn und depressivem schutzsuchenden Kleinkind.
In der Obhut und Versorgung von Herrn P. lassen bedeutete: Täglich viele Stunden mit dem Pflegebedürftigen in einem ärmlichen, unschönen Ambiente zu verbringen, ihm bei der Körperpflege, beim Toilettengang, beim Anziehen, beim Aufstehen und Gehen zu helfen. Täglich sein Zimmer aufzuräumen, Toilette und Dusche zu putzen, das Bett zu richten und frisch zu machen, die Wäschepflege und die Einkäufe zu erledigen, das Essen zuzubereiten und anzureichen, die Medikamente zu verabreichen. Und vor allem mit ihm zu reden und zuzuhören, ihn ganz in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stellen. Häufig fuhr Herr P. den jungen Mann mit seinem Pflegedienst Auto zu dessen Bruder oder anderen Verwandten, dass er aus dem engen, dunklen Zimmer herauskam. Häufig kochte die Ehefrau von Herr P. für den jungen Mann und schickte das Essen mit, weil es im Hotel nur eine Gemeinschaftsküche gab. Im Auftrag des gesetzlichen Betreuers begleitete Herr P. häufig notwendige Behördengänge mit dem jungen Mann, weil er der einzige war, der ihn steuern konnte.
Einige Male fragte ich Herrn P. warum er soviel für den jungen Mann macht und wie er die emotionale Schwerarbeit aushält. Herr P. antwortete darauf: Ja es ist manchmal schwer, aber er hat doch sonst niemand und man kann ihn doch nicht ohne Hilfe lassen und man muss doch jedem Menschen ein würdiges Leben ermöglichen.
Weil es immer wieder vorkam, dass von der Behörde Rechnungen für den Pflegedienst nicht vollständig oder verspätet bezahlt wurden und Herr P. trotzdem nie die Versorgungssicherung für den jungen Mann in Frage gestellt hat, wurde mein Eindruck verstärkt, dass es sich bei ihm schon um eine Art Heiligen handeln muss..... Jedenfalls, wie ich mir Heilige vorstelle.
Ich bin nicht religiös. An Heilige und Propheten glaube ich jedoch schon....
Bin ich vielleicht doch religiös?
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Eveline Z. (Donnerstag, 30 Mai 2019 19:26)
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